Vorabkapitel

Eine Passage aus dem kommenden "Kommissar-Ludwig"-Buch

Hier gibt es eine Passage aus dem kommenden Buch "Bargeld", das auch schon bei einigen Lesungen präsentiert wurde. Das Kapitel ist in mehrerlei Hinsicht etwas Besonderes:

1) Es ist eigentlich ein in sich abgeschlossener Fall.
2) Es beruht auf einer wahren Begebenheit.
3) Es kommen ein paar reale Personen darin vor. 😊

Viel Spaß!

 

Kommissar Ludwig und „Die Drei Schönen vom Platz“

Kriminalhauptkommissar Bernd Ludwig und seine Kollegin, Kriminalkommissarin Lisa Reinke, saßen im Auto und waren auf dem Weg zurück ins Polizeipräsidium in der Adickesallee. Sie hatten gerade einen Tatort im Gutleutviertel in Augenschein genommen und mussten jetzt einen Bericht dazu schreiben sowie das Team informieren. Ludwig saß wie immer grüblerisch auf dem Beifahrersitz, als er plötzlich zu seiner Kollegin sagte:

„Ach, Lisa, biegen Sie doch mal schnell hier in die Heidelberger ein. Wir machen noch einen kleinen Abstecher zum Kiosk am Schönplatz.“

„So? Wieso das denn?“

Ludwig setzte ein vorfreudiges Grinsen auf.

„Ich habe noch nichts gefrühstückt, und heute weder Zeit für die Kantine noch Lust auf Automaten-Erdnüsse. Am Kiosk backen uns – mit etwas Glück und einem charmanten Lächeln – Maria oder Ahmed ein paar frische Brötchen auf, dazu einen Kaffee. Und wer weiß: Vielleicht erfahren wir auch noch ein wenig Buschfunk. Kann jedenfalls nichts schaden.“

„Okaaaaay. Das ‚charmante Lächeln‘ übernehmen Sie, richtig?“, erwiderte seine Kollegin mit einem ironischen Zug um die Mundwinkel.

Ludwig legte den Kopf schräg zurück und schaute seine Kollegin streng-schelmisch an.

„Och, öh, doch, doch, sicher, sicher.“

Für einen Moment schwieg sie und tat übertrieben so, als müsste sie sich auf den nicht vorhandenen Verkehr konzentrieren.

„Hier: Wir sind da und haben auch noch Glück: Da ist sogar eine kleine Parklücke.“

Sie stiegen aus und gingen zum Kiosk. Dort standen ein paar Männer und musterten die Neuankömmlinge beiläufig. Ludwig nickte kurz grüßend in deren Richtung und sprach sogleich die Dame hinter dem Tresen an – in einem Tonfall, den Reincke so gar nicht von ihrem Chef kannte. Er konnte ja tatsächlich charmant sein, Donnerwetter!

„Einen wunderschönen guten Morgen, liebe Maria. Du hast doch sicher zwei Kaffee und ein paar aufgebackene Brötchen für uns, hmm? Meinen Kaffee wie immer schwarz, den für meine Kollegin bitte mit Milch und Zucker.“

Die Dame am Tresen murmelte etwas, das Reincke nicht verstehen konnte, und verschwand im hinteren Bereich des Kiosks. Da bemerkte Ludwig, dass einer der herumstehenden Männer ihn merkwürdig musterte. Es war ein Mann um die sechzig mit grauen, schütteren Haaren, die zu einem dünnen Pferdeschwanz gebunden waren, gekleidet mit allerhand indianisch aussehendem Schmuck. Ludwig hob eine Augenbraue.

„Ist irgendwas?“

Der Mann schaute ihn weiter von unten skeptisch an, dann begann er in breitestem Frankfurterisch: „Isch kenn Sie! Weesche Ihne durft isch e ma sitze, wisse Se dess?“

Ludwig setzte ein interessiert-überraschtes Gesicht auf.

„So! Nun, das kann schon sein. Was haben Sie denn verbrochen?“

Überrascht riss der Mann mit dem Pferdeschwanz die Augen auf, dann schüttelte er den Kopf und lachte.

„Nee, doch net so. Neulich, in de U-Bahn. Wisse Se des net mehr? Die war knackevoll, und Sie habbe mir Ihr‘n Sitzplatz aagebote. Des war sehr nett. Wisse Se, hier ...“

Er hob seinen ebenfalls indianisch geschmückten Stock.

„... mei‘ Füüs. Arthrose.“

„Oh, ach so. Na, aber gerne doch.“

Der Mann schaute Ludwig weiter konzentriert an, als hätte er noch mehr auf dem Herzen. Nach einer Weile überwand er sich und fragte den Kommissar:

„Aber – wann Se saache, dass es sei‘ kann, dass Sie jemand eigebucht habbe: Sin‘ Sie am End von de Polizei?“

„Ja, so ist es. Ich dachte, das wäre hier bekannt.“

Maria griente hinter ihrem Tresen.

„Wieso fragen Sie?“

Er druckste noch etwas herum, bevor er fortfuhr.

„Weil – jaaaa, wie soll ich‘s saache? Weil – mer habbe en Vermisste. De Fred.“

„Fred?“

„Ja, de Fred. Er kimmt eifach net. Sonst is‘ er immer zuverlässisch, pünktlisch uff die Minuut, un‘ heut – da kam er eifach net. Dadebei hadde mer en Uftritt, da drübbe, uff‘m Westhaafefest. Mer sin‘ „Die Drei Schönen vom Platz“ un mache Mussigg, also de Fred, de Patrick ...“

Er zeigte mit dem Daumen auf einen schlacksigen Mann mit Baseball-Cappie hinter sich.

„... un‘ isch, de Wolf.“

„Und weiter?“

„Naja, mer habbe e halb Stund gewart, un‘ dann habbe mer halt aagefange. Isch hab‘ e paar Lieder gesunge, ...“

„Und ich hab‘ getrommelt, auf der Cajon und dann ...“, mischte sich Patrick ein.

„Jetzt unnerbresch misch doch net, Kerle! Ja, de Patrick hat getrommelt un dann noch e paar Otto-Sketche vorgetraache. War gut, war witzisch. Die Leut habbe gelacht. Abber dann musste mer uffhörn. De Fred spielt eischendlisch die Giddarr, aber: Kein Fred. Un‘ so ohne ihn, da fehlt halt was. Da sin‘ mer ja nur ‚Die Zwaa Schöne vom Platz‘. Könne Sie uns helfe?“

Ludwig machte ein väterlich-nachdenkliches Gesicht:

„Naja, guter Mann, das ist eigentlich nicht meine Abteilung. Aber fahren Sie fort, man ist ja schließlich Freund und Helfer.“

Die Bemerkung wurde von zwei der Umstehenden mit einem dreckigen Lachen quittiert. Ludwig überhörte das geflissentlich und schaute den Mann mit Namen Wolf weiter an.

„Haben Sie diesen Fred denn mal angerufen? Er hat doch sicher ein Handy.“

„Öh, naja, wisse Se, mei Guthabbe ... Es is‘ aber schon aaner von hier zu ihm hie geradelt, um zu gugge, was da los is‘. Des is‘ net so weit, vielleischt so zwaa Kilomeeder, mehr net. Der müsst eischentlich jeden Moment widder da sei‘.“

Wie auf‘s Stichwort kam in diesem Moment ein Mann mit Blaumann eilig auf dem Fahrrad angefahren. Er schwang sich von seinem Drahtesel und begann sofort atemlos zu reden.

„Menschenskind, warum geht eigentlich keiner von Euch Nachtkappen ans Telefon? Ich war bei Fred. Er war nicht da. Aber dafür stand seine Tür einen Spalt offen. Ich schaue also rein – und da liegt einer. Ohnmächtig, mit dicker Beule am Kopf. Ganz offensichtlich ist er niedergeschlagen worden.“

Jetzt war Ludwig ganz Ohr. Im Hinterkopf leitete er schon eine Fahndung nach diesem Fred ein. Doch Wolf ergriff sofort hektisch das Wort:

„Wie, niedergeschlaache? Meinste, die hadde Streit und de Fred hat ihm eins übbergezooche? Un‘ is‘ desweesche getürmt? Abber wie will der den eischentlisch getroffe habbe, der sieht doch nix. Dess würd‘ außerdem so gar net zu ihm passe. Wer war dann der Kerl, der da laach? Haste den gekannt?“

„Ja, den kannte ich, und ihr kennt ihn auch. Das war dieser lange Lulatsch mit der Glatze, der öfters mit Fred zusammen auftritt. Dieser Krimischreiber.“

Ludwig rümpfte die Nase. Wolf und Patrick waren jetzt ganz aufgeregt.

„De Matthias! Ach, Du Scheiße. Und?“

„Ist jetzt im Krankenhaus. Ich habe natürlich gleich den Notarzt und die Polizei angerufen. Aber bis jetzt noch nix gehört. Aber apropos anrufen: Warum gehst Du nicht an Dein verfluchtes Telefon? Immer nur diese elende Mailbox.“

„Ei, vielleicht haste Dich verwählt? Hier hat nix geklingelt.“

Wolf angelte sein Handy aus einer ledernen, kleinen Tasche. Er schaute leicht betröppelt auf das Display.

„Oh. So‘n Scheiß! Saft is‘ weg. Scheiße! Ey, Ahmed, kann ich mei Handy mal bei Dir an de Strom hänge? Is‘ wischdisch!“

Nachdem das Handy am Kabel hing, checkte Wolf gleich seine Mailbox. Elf entgangene Anrufe während der letzten drei Stunden. Acht waren von Fred, drei von dem Mann im Blaumann. Wolfs Gesichtsausdruck veränderte sich beim Hören von peinlich berührt über verärgert bis hin zu tief schockiert. Er wollte gerade anfangen mitzuteilen, was auf der Mailbox war, als hinter ihm ein leises Klappern und eine Stimme zu hören waren.

„Kerle, Wolf, warum gehst Du eigentlich nicht ans Telefon?“

„Fred! Ei, wo kimmst‘n Du jetzt her?“

Fred wirkte erschöpft und klappte erstmal seinen Stock zusammen, bevor er mit einem tiefen Seufzer berichtete.

„Mann. Mann, Mann, ich wähl‘ mir hier die Finger wund, und nix. Wir haben einen Auftritt, und der eine hat kein Handy und der andere geht nicht dran. Super! Auch Harry hab‘ ich nicht erreicht, aber der hat als Veranstalter vom Westhafenfest heute eh‘ zuviel um die Ohr‘n. Also, ich mach‘s kurz: das war heute echt ein Scheißtag. Dass der Bus ab und zu nicht fährt, vor allem sonntags, ist ja leider bekannt. Aber der dritte hat dann unterwegs einen Unfall gebaut, ist in ein Auto gekracht. Der Fahrer hat uns aber nicht aussteigen lassen, weil es nicht an einer Station war. Darf er wohl laut Vorschrift nicht. Also saß ich da fest, bis die Polizei und dann ein Ersatzbus kamen. Tut mir sehr leid. Der Auftritt ist sicher ins Wasser gefallen, oder?“

„Naja, so halb. Is‘ abber jetzt erst emal net so wischdisch. Viel wischdischer is‘: Was is‘ dann dess mit dem Matthias? Wieso lie‘t der ohnmächtisch in Deiner Buud?“

„Er tut WAS?“

Wolf, Patrick und der Blaumannträger berichteten jetzt wild durcheinander erzählend, was vorgefallen war. Ludwig hörte angespannt zu und ließ dabei zischend die Luft durch seine Zähne entweichen, ließ die drei aber weiter reden. Schließlich ergriff Fred wieder das Wort.

„Wisst ihr was? Wir rufen Matthias jetzt einfach mal an, vielleicht haben wir ja Glück und wissen dann mehr.“

Er fingerte sein Handy raus und ließ das Telefon wählen. Nach einer recht langen Weile – Fred war schon kurz davor, besorgt wieder aufzulegen – ertönte eine vertraute, sehr müde klingende Stimme im Telefon.

„Jaaaa?“

„Matthias, bist Du‘s? Na, wenigstens Du gehst ans Telefon.“ Eine längere Pause folgte. Alle Umstehenden schauten Fred gebannt an, auch Maria und Ahmed schielten hinterm Tresen hervor. „Mann, Du machst Sachen! Wie geht‘s Dir denn? Warte, ich schalte Dich mal auf laut, erzähl es bitte nochmal.“

„Öööh, ja. Hallo. Hier ist der Matthias. Ach, was soll ich sagen: Ich liege im Krankenhaus. Meine Rübe – tut tierisch weh! Schwere Gehirnerschütterung. Eigentlich dürfte ich gar nicht telefonieren, werde es auch kurz machen, sonst kriege ich vom Arzt auch noch eine auf den Deckel. Aber gut, dass Du anrufst, ich wollte nicht, dass Du Dir Sorgen machst.“

Er gab ein kurzes Stöhnen von sich, dann redete er weiter.

„Also, Du weißt ja, als Du zum Bus gegangen bist, wollte ich noch kurz bei Dir auf die Toilette und dann zu meinem Termin in Fechenheim fahren. Du hattest es etwas eilig, weil Du Deinen Bus kriegen wolltest, hast zu mir gesagt, dass ich beim Weggehen einfach die Tür hinter mir zuziehen soll und bist losgegangen. Jedenfalls bin ich dann zu Dir hoch auf‘s Klo und dann ...“

Es gab eine nachdenkliche Pause.

„Dann bin ich mit etwas zuviel Schwung die Treppe rauf gesprintet. Und Du kennst ja diesen fiesen Absatz über Deiner Treppe. An dem hab‘ ich mir dann volles Rohr den Schädel angehauen. Meine 1,96 waren da eher kontraproduktiv. Und dann bin in einem Krankenwagen wieder aufgewacht. So war das.“

Alle schwiegen.

„Hallo? Bist Du noch dran?“

„Jaja, klar, wir waren nur gerade alle etwas sprachlos.“

Wolf nahm Fred das Handy ab.

„Hallo, hier is‘ de Wolf. Mer wollte schon ‘en Kommissar uff Dich aasetze. Is‘ nämlich zufällisch gerad‘ einer hier. Ach, Sie, wie heiße Sie eischendlisch?“

Ludwig wirkte etwas erschöpft, aber auch erleichtert. „Kommissar Ludwig heiße ich.“

Schweigen, diesmal am anderen Ende der Leitung.

„Hallo? Matthias? Bist Du noch da?“

„Jaja, klar. Na, den hätte ich zu gerne mal persönlich kennen gelernt, echt! Bestellt ihm schöne Grüße und sagt ihm, er soll bitte nachsichtig mit mir sein, wenn ich zuviel Unsinn schreibe. Aber ich muss jetzt wirklich auflegen, mein Schädel brummt. Mach‘s gut, und Grüße an die anderen beiden Schönen vom Platz.“

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Wieder im Auto, lehnte sich Kommissar Ludwig weit in seinem Beifahrersitz zurück und atmete tief aus.

„Na, Lisa, das war ja mal ein schnell gelöster Fall, und wir mussten noch nicht mal was machen, außer dumm rumstehen. So könnte es öfter sein, oder?“

„Ja, auf jeden Fall.“

Er hielt kurz inne.

„Oh, Herrgottsakra!“

„Was?“

„Katastrophe! So ein Unglück!“

„Was ist denn? Was ist passiert?“

„Wir haben was ganz Wichtiges vergessen!"

„Was? Was?“

„Wir – wir haben die Brötchen dort liegen gelassen!“

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